Rückblick
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11. Internationales Schattentheater Festival Schwäbisch Gmünd
12.-18. Oktober 2018
„Das ist ja unglaublich. Wir hätten das Hotel in dieser Woche zweimal belegen können. So viele Anfragen!“ frohlockte ein neuer, junger Angestellter eines Gmünder Hotels, der das Internationale Schattentheater Festivals noch nicht erlebt hatte. Für die Organisatoren des Festivals war dies nicht erstaunlich: in der Festivalwoche sind die Zimmer in und um Schwäbisch Gmünd herum so ziemlich ausgebucht. Sichtbar wurde beim diesjährigen Festival aufgrund des wundervollen Wetters, wie sehr die Besucher und Künstler, die zum Festival gekommen waren, auch Restaurants und Cafés füllen. Auf dem Gang durch die Stadt, z.B. von Spielstätte zu Spielstätte, traf man auf Schritt und Tritt Festivalbesucher, die Sonne genießend, beim Bummeln, beim Einkaufen oder eben im Café oder Restaurant auf dem Marktplatz sitzend. „Umwegrentabilität“ nennt man das in der Kulturwirtschaft, was nichts anderes bedeutet als dass der Zuschuss, den die Stadt für die Durchführung des Festivals gibt, gut investiert ist.
„Ein durch und durch gelungenes Festival“ nennen die Festival-Verantwortlichen das, denen es neben dem finanziellen Aspekt besonders auch um das Renommee geht, das die Stadt durch ein Festival der diesjährigen Qualität in der ganzen Welt erlangt.
Künstler aus 10 Ländern – aus Australien, Belgien, China, Dänemark, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Polen, der Schweiz und Deutschland - trafen sich in Schwäbisch Gmünd, um die derzeit interessantesten und wichtigsten Produktionen in diesem speziellen Genre darzubieten und selbst zu sehen. Darüber hinaus kamen Interessierte aus Australien, Brasilien, China, Norwegen, Russland und sogar Korea, aber natürlich auch aus ganz Deutschland, um das Festival zu besuchen. Die junge Koreanerin, die sich telefonisch relativ kurzfristig und in radebrechendem Englisch an die Festivalleitung wandte, um sich nach Workshops und Karten zu erkundigen, erklärte auf den Hinweis, dass es schwierig werden könnte, für den ganzen Zeitraum ein Hotelzimmer zu finden, dass sie versuche, über „Couch-Surfing“ unterzukommen. Es fehle ihr nur noch für eine Nacht eine Unterkunft, aber das sei ihr egal; viel zu wichtig sei ihr die Teilnahme am Festival. Danke, weltoffenes Schwäbisch Gmünd für die Aufnahme all dieser Gäste!
Die Beachtung und die Bedeutung, die das Festival in der ganzen Welt erfährt, erstaunt immer wieder. Und auch wenn es immer noch Gmünder gibt, an denen das Festival komplett vorbei geht – was man vielleicht unter dem Stichwort vom Propheten, der im eigenen Land nichts gilt, einordnen kann – so wurden die Produktionen in diesem Jahr doch so gut besucht wie kaum zuvor.
Aufgrund der großen Nachfrage mussten etliche Zusatzvorstellungen angesetzt werden, und diesmal nicht nur am Vormittag für Schulen und Kindergärten, sondern auch im Rahmenprogramm. So fanden in den 7 Festivaltagen statt der geplanten 28 insgesamt 44 Vorstellungen , 9 statt 5 Workshops, 3 Workshop-Präsentationen, 1 Open-Stage-Aufführung und 2 wundervolle Ausstellungen statt. Selbst die Nachmittagsvorstellungen, die anfangs der besonderen Aufmerksamkeit bedurften, waren letztlich gut besucht. Offensichtlich wird es für Schulen immer schwieriger, die Schüler nachmittags zu einer solchen Aktivität zusammen zu bringen. Um so mehr hat es uns gefreut, dass es Lehrern aus Pforzheim und Sindelfingen gelungen ist, den Besuch mit Schüler sogar zu einer Abendvorstellung und zu einem gesamten Schultag mit Vorstellungsbesuch und Teilnahme am Experimentier-Workshop zu organisieren.
Gerade die Einbindung eines junge Publikums war und ist dem Festival-Team besonders wichtig. Gilt es doch, dieses älteste Festival der Stadt nicht nur für die Besucher attraktiv zu halten, die bereits seit 30 Jahren in dieser Herbstwoche nach Schwäbisch Gmünd zum Festival kommen, sondern es auch gut aufzustellen für die Zukunft. Deshalb waren uns nicht nur die Workshops für interessierte Erwachsene wichtig, sondern auch die Workshops für Grundschüler, die in Kooperation mit der Kulturagentin Johanna Niedermüller mit Klassen der Grundschule Hardt stattfanden, die bereits erwähnten Experimentier-Workshops für 8 – 12-Jährige unter Leitung von Stanislaus Müller-Härlin und der Workshop von Florica Hofmann, der sich an ErzieherInnen als zukünftige Multiplikatoren wandte.
Im Zentrum des Festivals stehen natürlich die Aufführungen, die - so das Feedback vieler Besucher -, in diesem Jahr so vielgestaltig in Form und Konzeption waren, von so hoher Qualität und professionellem Können, dass es unmöglich gewesen sei, einen Favoriten zu benennen. Die klassischen Produktionen der traditionsreichen italienischen Bühnen brauchten wieder die große Bühne im Congress-Centrum Stadtgarten und zogen erwartungsgemäß viel Publikum an. „Butterfly Blues“ der Gruppe Controluce Teatro d’Ombre entwarf zu Puccinis Musik einen Rückblick des sterbenden Puccinis auf all die Frauengestalten, die er geliebt hat und die für ihn in der Gestalt der Madame Butterfly zusammenflossen – bewegende große Schattenbilder! Das Handlungsballett „Feuervogel“ brachte die Gruppe Gioco Vita auf die Bühne de Peter-Parler-Saals: Schattenspiel in Perfektion, Tanz, Figurenspiel, so genau und präzise, dass sie zu Recht als die Altmeister des Schattentheaters gelten.
Fast alle anderen Abendveranstaltungen fanden im Kulturzentrum Prediger statt, wo die australische Gruppe Bunkpuppets in „Slapdash Galaxy“ mit unglaublicher Schnelligkeit, Humor und Einfallsreichtum begeisterte. Dort beschäftigte sich auch das Theater Handgemenge in „Der Morgen kann warten“ in einer virtuos gespielten, nachdenklichen, liebevollen Produktion mit dem Lebensabend im Altersheim und fand dafür leise, charmant witzige Töne, wenn sich der alte Mann weigerte, abends in Bett zu gehen, aus Sorge, nicht mehr aufzuwachen und statt dessen wie ein alter Häwelmann mit seinem Bett losfuhr, um Abenteuer zu erleben. Auch das Stück „Der Schatten“ von der dänischen Gruppe TeaterTT wurde im Prediger gespielt. Auch ein leises Stück mit viel Humor, in der Machart aber vollkommen anders, mit größtmöglicher sichtbarer Reduktion auf der Bühne, aber durch den Einsatz neuer Medien eine höchst aufwendige Produktion: nur ein Mann, der sich mit seinem eigenen Schatten auseinander setzt und dabei erkennen muss, dass dieser nicht immer so will, wie er denn will – höchst vergnüglich und die psychologischen Momente, die im Schattentheater ja immer mitschwingen, auf hintersinnig witzige Weise auf den Punkt gebracht.
Die Kinderproduktionen fanden wie immer im Franziskaner oder der Theaterwerkstatt statt. Und es hat sich wieder einmal erwiesen, dass gut gemachtes, professionelles Theater für Kinder, das seine jungen Zuschauer ernst nimmt, eben auch die erwachsenen Besucher zutiefst beeindrucken und begeistern kann. Einige der Produktionen werden sicher in der nächsten Zeit bei diversen Festivals auftauchen, denn es waren etliche Organisatoren anderer Figurentheaterfestivals vor Ort, um möglichst viele Produktionen zu sichten, was durch die enge Taktung des Gmünder Festivals sehr gut möglich und effizient ist. Allen voran wird wohl die Produktion „Mange tes ronces!“ des belgischen Ensembles Moquette Production, aus der das Titelbild für das diesjährige Festivalplakat stammt, seinen Weg machen. Zwei Jahre hat die Gruppe an der Produktion gearbeitet, zwei Jahre, die sich gelohnt haben, denn mit einfachsten Mitteln, mit nur zwei Tageslichtprojektoren, zwei aberwitzig präsenten und schnellen Spielerinnen und einem genialen Musiker ist ihnen ein Meisterstück an Leichtigkeit und Witz gelungen. Eigens für Schwäbisch Gmünd hat die Gruppe eine passgenaue Übertitelung erarbeitet, so dass es keinerlei Sprachbarrieren gab.
Aber das Festival hat sich dieses Mal nicht nur auf die bewährten Spielorte beschränkt.
Neben den bisherigen Sponsoren Weleda, Kreissparkasse und Stadtwerke ist die V.G.W. mit eingestiegen und darüber hinaus ist es gelungen, eine namhafte Unterstützung durch die Baden-Württemberg Stiftung zu erhalten, die die Einzigartigkeit dieses nur auf Schattentheater fokussierten, traditionsreichen Festivals zu schätzen wusste. Diese Förderung ermöglichte, dass verwirklicht werden konnte, was für den Fortbestand des Festivals essentiell nötig ist, nämlich Produktionen zu zeigen, die nicht voraussehbar ein Gros an Besuchern generieren. Es handelt sich dabei um Produktionen, die neue Wege beschreiten, experimentell arbeiten und auf diese Weise anregendend und impulsgebend wirken.
Durch die Unterstützung der Baden-Württemberg Stiftung konnte „Die besondere Stunde“ stattfinden, eine Reihe mit eben diesen besonderen Produktionen. Eine davon war der „Schattenwald“ eine Installation im Naturetum, dem stadtnahen Walderholungsgebiet im Taubental. Das Theater Anu hat den nächtlichen Spaziergang zu einem Eintauchen in ein Märchenland aus Licht und Schatten gemacht, der die Zuschauer verzauberte.
Besondere Aufmerksamkeit erlangte auch durch den besonderen Ort und das außergewöhnliche Ambiente in der Johanniskirche die Produktion „Sieben Nächte“ der niederländischen Gruppe Lichtbende, so dass sogar in der Landeschau des SWR darüber berichtet wurde. Faszinierende Bilder zu der an der historischen Orgel gespielten und von einem Cello und einer Sängerin begleiteten Musik von Gubaidulina und Górecki forderten die Besucher heraus. Thema des Stücks und Neue Musik waren nicht leicht eingängig – eine eindrucksvolle, besondere Stunde eben.
Zur „Besonderen Stunde“ gehörte auch die Arbeit von Flop Lefebvre, der sowohl in seiner Darbietung „Dal vivo“ – Über das Leben“ als auch mit seiner spielerischen Ausstellung „Heureuses Lueurs“ begeisterte, Arbeiten voll Poesie und überraschendem Charme, die tatsächlich glücklich gemacht haben. Eine Entdeckung war auch Carla Taglietti mit ihren kleinen, kurzweiligen Produktionen „Tutta Sola“ und der Dancebox, letzteres nur für jeweils einen Zuschauer, was zu langen Schlangen im Innenhof des Predigers führte. Nicht nur die erwähnten, auch all die anderen Produktionen, die zu beschreiben hier nicht mehr der Raum ist, machten zusammen das Festival zu einem einzigartigen Erlebnis.
Und noch etwas war bei diesem Festival besonders: ein unglaublich tolles, gut eingespieltes und äußerst engagiertes Team von Mitarbeitern hat dieses Festival zu dem gemacht, was es für die Besucher und Gäste – wie aus vielen Rückmeldungen zu entnehmen war – so besonders gemacht hat. Neben dem Kernteam - bestehend aus Sybille Hirzel, Ulrike Kleinrath, Katharina Lampe und Holger Jäckle – gab es Unterstützung von den anderen MitarbeiterInnen des Kulturamts, von überaus engagierten Praktikantinnen, von tollen hilfsbereiten Hausmeistern in allen Spielstätten, allen voran den guten Geistern im Prediger und einem Technikteam um Gert Gruber und Florian Grünauer von der Firma Mixtown, die es ermöglichten, dass alles nicht nur reibungslos ablief, sondern dass sich Künstler und Gäste rundum wohl und gut betreut fühlten. So klein das Team auch angesichts des eng getakteten und zahlreichen Angebotspakets war, so vielgestaltig die Anforderungen und Wünsche der Künstler und Gäste: vom ersten Tag an herrschte eine freudig-inspirierte Stimmung, die alle und alles mit einbezog, eine durch die Kunst und die allesamt äußerst sympathischen Künstler inspirierte Lebendigkeit, ein Flair, der alle erfasste und sich auf alle übertrug.
Wie titelte doch noch die Rems-Zeitung im Abschlussbericht: „Das Festival ist aus, der Zauber bleibt“!